13.06.2015

Die jüdische Großmutter

Beinahe täglich berichten die Zeitungen über den Konflikt zwischen Muslimen und Juden, zwischen Muslimen und dem Westen. Über Terroranschläge. Über den Kampf der Kulturen. Über Immigranten aus dem Nahen Osten und Nordafrika, die sich nicht integrieren.

Zu häufig gehen dabei die Geschichten unter, die Hoffnung geben. Die zeigen, dass ein friedliches Zusammenleben sehr wohl möglich ist. Eine solche Geschichte ist die von Tante Lilly. Es ist eine Geschichte von einer alten Dame jüdischen Glaubens und ihren muslimischen Nachbarn.

Tante Lilly wurde vor kurzem 105 Jahre alt. Sie wohnte in England im Nordwesten Londons, wohin sie 1939 vor den Nazis in Deutschland geflohen war. Lillys Mann starb vor 25 Jahren. Danach lebte die alte Dame allein und ohne Hilfe.


Bild von THE HUFFINGTON POST
Vor elf Jahren zogen neue Nachbarn in das Haus neben Lilly ein. Mohammed und Shamin Islam hießen sie – und sie brachten zwölf weitere Famillienangehörige mit. Die neuen Nachbarn pakistanischer Herkunft beteten fünf Mal am Tag. Die Frauen zeigten sich nur verschleiert im Hijab auf der Straße. Und nur in Begleitung eines Mannes.

An diesem Punkt der Geschichte folgen meistens Schreckensnachrichten...
....aber wie immer bei Vorurteilen war es auch im Fall Lilly und der Familie Islam: Sie stimmen nicht.

Schon kurz nachdem die Familie Islam neben Lilly einzog, befreundete sich eines der Kinder mit der alten Dame. Und schon nach kurzer Zeit adoptierte die Familie Lilly als eine Art Großmutter. So schreibt es Helen Stone, die Nichte von Lilly, in der britischen Tageszeitung "Independent".

Auch Mohammed schaute regelmäßig bei Lilly vorbei. Er reparierte Dinge im Haus, pflegte den Garten oder trank mit Lilly eine Tasse Tee. Auch Shamin und die Töchter waren regelmäßig zu Gast.

Bis kurz vor ihrem 105. Geburtstag war Lilly fit und kam ohne Hilfe zurecht. Doch das änderte sich. Sie musste gepflegt werden. Daraufhin zog Lillys Tochter Regina aus den USA nach England, um ihre gebrechliche Mutter zu unterstützen. Aber auch ihre Nachbarn waren zur Stelle.

In den vergangenen Monaten kamen die Nachbarn jeden Morgen bei Lilly vorbei. Sie halfen ihr, sich anzuziehen und sich zu waschen. Häufig kamen sie auch zwei Mal am Tag. Sie halfen Regina, die die Pflege nicht allein stemmen konnte.

Dann kam Lillys 105. Geburtstag. Sie bekam Post mit Glückwünschen von der Queen, wie alle 105-Jährigen in Großbritannien. Fast noch mehr als über die Karte der Queen freute sich Lilly aber über die Karte ihrer Nachbarn. In ihr stand neben Fotos von allen Angehörigen der Islam-Familie: "Für Oma. Wir lieben Dich."

Für Regina war das eine einschneidende Erfahrung, wie Helen Stone, Lillys Nichte, schreibt. "Die Liebe, die Fürsorge und der Respekt ihrer Nachbarn hat Regina davon überzeugt, dass es keine Grenzen zwischen den Altersgruppen, Religionen oder Nationalitäten gibt. Dass die Islams einfach die bestmöglichen Nachbarn sind."

Lilly starb am 26. März 2015 in ihrem Haus in Anwesenheit ihrer Tochter Regina.


Lilly wurde nach jüdischem Brauch schon am folgenden Tag beerdigt. Auch Mohammed und Shamin Islam nahmen an der Beerdigung teil. Sie schaufelten Erde auf Lillys Sarg, es war eine letzte Geste der Anerkennung und Freundschaft für ihre Nachbarin, die jüdische Großmutter.
Bericht gesehen bei: THE HUFFINGTON POST

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